Japans Unternehmen haben seit der Tsunami- und Atomkatastrophe vor vier Jahren ein Modell der Energieversorgung neu entdeckt: lokale, unabhängige Stromnetze, auch Micro-Grids genannt.

Ausgerechnet der Tokioter Kernkraftwerksbetreiber Tepco will nun einsteigen. Auf der Insel Niijima 100 Kilometer südlich von Tokio will der Betreiber der Atomruinen Dieselgeneratoren mit Wind- und Sonnenkraftwerken kombinieren.

Die französische Firma Saft soll jene Lithium-Ionen-Akkus liefern, die als Stromspeicher dienen werden. Bestellt ist eine Kapazität von 520 Kilowattstunden. Fünf Jahre lang soll der Test laufen. Und er kann durchaus als eine kleine Revolution gelten. Denn bisher waren die Stromerzeuger die größten Bremser der Micro-Grid-Bewegung.

Sie hatte um die Jahrtausendwende begonnen. Damals hatte Japans Organisation für die Entwicklung neuer Energien und Industrietechnologien die ersten vier Projekte gestartet. Privat war der Hochhauskomplex Roppongi Hills das erste Großvorhaben mit einem Micro-Grid. Ende des letzten Jahrzehnts sprang auch das Wirtschaftsministerium mit einem Projekt in Japan und zweien in den USA auf den Trend auf. Seitdem wächst die Zahl der Micro-Grids stetig. Eines der größten entsteht derzeit in einem aus dem Boden gestampften Stadtteil südlich der Millionenmetropole Tokio: der Fujisawa Sustainable Smart Town, erdacht und erbaut unter der Federführung des Elektronikkonzerns Panasonic.

1000 Wohnungen und Einfamilienhäuser sollen in der Endausbaustufe stehen. Sie sollen über Solaranlagen und teilweise Brennstoffzellen mehr Strom erzeugen als verbrauchen. Die Überschüsse werden, gesteuert von einem Energiemanagementsystem, in Lithium-Ionen-Akkus gespeichert oder an Tepco verkauft.

Ein wichtiger Nebeneffekt: "Wenn nach einem Erdbeben der Strom ausfallen sollte, kann sich die Siedlung drei Tage lang selbst versorgen", sagt Projektleiter Hiroyuki Morita. Dieses Ziel wurde nach dem Megabeben im März 2011 den Entwicklern ins Pflichtenheft geschrieben. Aus demselben Grund hat auch Toyota einige Fabriken in einem Industriegebiet in der Präfektur Miyagi durch den Aufbau einer eigenen Stromversorgung unabhängig vom lokalen Stromversorger gemacht. Zwei Wochen Stromausfall wollen die Autobauer nicht noch mal erleben. Rivale Honda wiederum hat mit Toshiba ein Modellhaus entwickelt, das Solarzellen und die Akkus von Elektro- oder Hybridautos kombiniert. Weitere Smart-City-Projekte setzen auch auf diese Notfall-Option.

Doch auch nach der Atomkatastrophe sind Micro-Grids keine Selbstläufer. "Die Stromkonzerne kämpfen bis zum letzten Atemzug gegen dezentrale Netze", sagt Tom O'Sullivan, Gründer des Investmentberaters Mathyos in Tokio. Japans Ministerpräsident Shinzo Abe zwingt sie nicht zur Wende. Lieber will er möglichst viele der 48 abgeschalteten Atommeiler wieder hochfahren. Ob Tepcos Einstieg nun das Blatt wendet? (Martin Kölling) / (bsc)

http://www.heise.de/tr/artikel/Mit-kleinen-Stromnetzen-gegen-das-Desaster-2582377.html

06.05.2015 | 496 Aufrufe

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